Predigt über Jeremia 31, 31 - 34
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
„Alles neu macht der Mai, macht die Seele frisch und frei.“ Mit diesen Worten beginnt der deutsche Lehrer und Schriftsteller Adam von Kamp sein bekanntestes Gedicht, das er 1829 veröffentlicht. Ganz im Sinne einer romantischen Naturbegeisterung wird entfaltet, was man alles entdecken und erleben kann, wenn man sich erst einmal aus dem Haus gewagt hat. Voraussetzung und Ziel dieser frühlingshaften Gestimmtheit werden wie ein Programm gleich im ersten Satz beschrieben. „Alles neu macht der Mai, mach die Seele frisch und frei.“
Eine heitere Aufbruchsstimmung, ein frisches, freies Gemüt hat wohl auch der Prophet Jeremia den Israeliten und sich selbst gewünscht. Er lebte in einer dunklen Zeit im 6. Jahrhundert vor Christus. Weite Teile von Israel und Juda - Nord- und Südreich - sind von den Babyloniern eingenommen worden. Die Städte dort sind zerstört, die Elite des Landes wurde nach Babylon deportiert. Jerusalem ist noch frei, und der König tut so, als ob das auch immer so bleiben würde. Dabei kommt die feindliche Armee immer näher. Jeremia erkennt: Jerusalem hat keine Chance! Und er interpretiert den baldigen Untergang der heiligen Stadt als Gottes gerechte Strafe dafür, dass sein Volk seinen Bund gebrochen hat.
Schließlich tritt ein, was Jeremia vorausgesagt hat. Die Babylonier belagern Jerusalem. Und plötzlich redet Jeremia ganz anders. Als alle wussten, dass sie dem Verderben entgegengehen, als sie doch noch bereuten, dass sie Gottes Weg verlassen haben, spricht der Prophet Worte des Trostes und der Ermutigung. Und sie sind nicht nur so dahergesagt. Es ist kein billiger Trost. Viermal bekräftigt Jeremia in unserem Predigttext seine Zusage mit der sogenannten „Botenformel“ „spricht der Herr.“ Er tritt hinter das Gesagte zurück, wird ganz zum Sprachrohr Gottes. Was er jetzt zu sagen hat, ist in ganz besonderer Weise Wort Gottes.
Was will Gott nun seinem Volk so eindrücklich sagen? „Siehe, es kommt die Zeit, da will ich mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen.“ An theologisch zentralen Stellen der hebräischen Bibel wird das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk als Bund bezeichnet. Man könnte jetzt überlegen, was einem aus der Alltagssprache zum Begriff „Bund“ einfällt. Man könnte die äußerst zahlreichen Übersetzungsvarianten durchgehen. Ein Bund wird in der Welt des Alten Testaments nicht zwischen zwei gleich starken Partnern geschlossen. Vielmehr sagt der Stärkere dem Schwächeren seinen Schutz zu, der Schwächere hat wiederum gewisse Verpflichtungen gegenüber dem Stärkeren. Wenn Gott seinen Bund mit den Menschen schließt, so kann man recht stimmig von einer Selbstverpflichtung sprechen.
Gott schließt seinen Bund mit Noah. Gott schließt seinen Bund mit Abraham. Am Sinai schließt Gott seinen Bund mit Moses und dem Volk Israel. „Ich schließe einen Bund mit euch,“ erklärt Gott. „Wir wollen alles tun, was der Herr gesagt hat,“ versprechen die Israeliten. Was Gott von seinen Menschen will, ist in der Tora, Gottes guter Weisung, festgelegt. Schon unmittelbar nach dem Geschenk der Tora beginnt das Volk, den Bund zu brechen. Statt des lebendigen Gottes verehrt es ein Kalb aus Metall. Seine Herrscher inklusive Oberschicht beuten die Armen aus, unterdrücken die Schwachen. Es folgt Orientierungslosigkeit, Zerrüttung, schließlich der Kollaps des Staatengebildes.
Aber Gott hält an seinem Versprechen fest. Durch seinen Propheten lässt er verkünden: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war.“ Nur ein einziges Mal, eben in dieser Stelle, ist in der hebräischen Bibel von einem neuen Bund die Rede.
Was ist nun das Neue an dem Bund, den Jeremia ankündigt? Wurden die Inhalte geändert, die Pflichten der Israeliten abgespeckt, angepasst an ihre Fehlerhaftigkeit, damit sie zumindest irgendetwas richtig machen können? Keineswegs. Jeremia verkündet keinerlei Abschaffung oder Entwertung des alten Bundes. Der ewige Bund hört nicht auf zu bestehen. Gott schließt keinen anderen Bund. Aber er schließt ihn anders.
„Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.“ Das Symbol für die Tora, die Moses am Sinai empfängt, sind die beiden mächtigen Steintafeln. Diese werden für den neuen Bund nicht mehr gebraucht. Gott verkürzt die Kommunikation seines Willens, indem er diesen seinem Volk direkt in Herz und Sinn schreibt. „Sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.“ Gott legt sich seinem Volk, Gott legt sich uns ans Herz. Ich will euer Gott sein, ihr sollt mein Volk, meine Menschen sein. Ein großes Versprechen wird uns da gegeben, einseitig, kein Vertrag. Ein einseitig geschlossener Bund, ein Bund im Herzen.
Was ergibt sich daraus, dass Gott sich uns ins Herz geschrieben, ins Herz gepflanzt hat? Bei Jeremia heißt es: „Es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den Herrn“, denn sie sollen mich alle erkennen, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ Keiner muss mehr dem anderen sagen, wie das mit Gott zu verstehen ist. Keiner muss mehr dozieren, was gut ist und was schlecht. Jeder weiß es, jeder lebt es. Es ergibt sich.
Ist das eine Utopie? In der „geistlosen“ Zeit ein Blick in eine weit entfernte Zukunft? Es klingt zu schön um wahr zu sein. Und doch dürfen wir uns zusagen lassen, dürfen wir im Herzen behalten, dass Gott gut zu uns sein will, auch weiterhin, komme, was wolle. Er will uns in die kommende Zeit mit seinem Segen begleiten. Er will, dass wir uns gehalten und getragen wissen. Er will, dass wir ihn dankbar als Gegenüber akzeptieren, dass wir ihn aus ganzem Herzen und mit aller Kraft lieben, wie es in einer zentralen Stelle der Tora steht.
Wenn wir Gott lieben, wenn wir wissen und wertschätzen, dass er es immer wieder gut mit uns meint, dann müssen wir nicht dauernd fragen, was wir dürfen und was nicht. Dann ist es in unsere Herzen geschrieben, was vor Gott recht ist. Unser von Gott geprägtes Gewissen sagt es uns. Auch wenn wir immer wieder zu schwach sind, um das Gute zu tun, und immer wieder Gottes Gnade brauchen.
Heute werden wir an eine alte Zeit in der Geschichte Israels erinnert. Wir werden aber auch erinnert an eine lange Geschichte der Güte Gottes mit uns. Diese soll weitergehen. Mit jedem und jeder von uns. Der heutige Sonntag Exaudi bedeutet, dass wir darauf warten, dass der Heilige Geist neues Leben schafft. So gehört zum Sonntag Exaudi der Aufblick zu dem, der uns immer wieder gut ist. Und ein Ausblick nach vorn. Gott will mit uns sein. Und wir sollen sein Volk sein. Bis wir einmal ganz bei ihm sind. Wenn er alles neu macht und die Welt vollendet. Amen
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